Pause für den Rechtsstaat

Weitere Verhaftungen nach Protesten gegen G-8-Gipfel in Italien. Von Cyrus Salimi-Asl, Genua 


Die Staatschefs der sieben führenden Industriestaaten und Rußlands, die am Wochenende in Genua zum sogenannten G-8-Gipfel zusammengekommen waren, haben der italienischen Hafenstadt längst den Rücken gekehrt, doch die Polizei macht weiter Jagd auf ihre Kritiker. Am Montag wurden im Zusammenhang mit den Protesten gegen das elitäre Spitzentreffen auf Genuas Straßen nochmals 25 Jugendliche verhaftet. Die italienischen Behörden unterstellen ihnen, dem vielgescholtenen Schwarzen Block angehört zu haben. Die Verhafteten seien zwischen 18 und 23 Jahre alt und kämen aus Deutschland, Österreich, Litauen, Schweden, Kanada, den USA und Australien, berichtete eine Spezialeinheit der Polizei. In Santa Margherita Ligure bei Genua wurden schließlich acht Deutsche festgenommen, die mit zwei Campingbussen zum Zelten unterwegs waren. Vorwurf der Carabinieri: Im Fahrzeug befanden sich Stangen und Hämmer.

Behördenangaben zufolge sind bisher rund 300 Antiglobalisierungsaktivisten verhaftet worden, darunter 52 Deutsche. Allein 42 deutsche Demonstranten sind am Sonntag morgen bei dem Sturmangriff auf die Diaz-Schule in der Innenstadt von Genua verhaftet worden, in der sich das »Genoa Social Forum« befand. Unter den Festgenommenen befindet sich auch die junge Welt- Mitarbeiterin Kirsten Wagenschein. Bis Redaktionsschluß wurde junge Welt von den Behörden im Unklaren gelassen, wo sich die offiziell für den G-8-Gipfel akkreditierte 33jährige Journalistin befindet und in welchem gesundheitlichen Zustand. Bei dem polizeilichen Überfall wurden mehr als 60 Menschen zum Teil schwer verletzt. Ein britischer Mitarbeiter der Internetagentur Indymedia liegt nach jW-Informationen im Krankenhaus im Koma, so schwer war er am Sonntag von Polizisten verprügelt worden.

»Eine Aussetzung des Rechtsstaats« nannte Fausto Bertinotti, Generalsekretär der Partei Rifondazione comunista (PRC), die brutale Stürmung der beiden Schulen in Genua. »Ich habe echte Angst verspürt, Angst, mich plötzlich in einem echten und wirklichen Polizeiregime wiederzufinden«, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung La Repubblica (Montagausgabe). Bertinotti selbst war Augenzeuge, wie die Polizei am Sonnabend bei der Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel auf diejenigen einschlug, die sich aus Sicherheitsgründen vom Protestzug entfernten und nach Hause gehen wollten. Daraus schließt der PRC-Chef, »daß die Ordnungshüter nicht das Ziel hatten, die Gewalttätigen zu isolieren, sondern vielmehr zu destabilisieren, um eine wirklich friedliche Massendemonstration zu verhindern. Oder besser gesagt das Wachstumspotential dieser Bewegung an der Wurzel zu zerstören.«

Sowohl Bertinotti als auch die Oppositionsparteien des Mitte-Links-Bündnisses »Ulivo« (Olivenbaum) fordern nun den Rücktritt von Innenminister Claudio Scajola (Forza Italia) und die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Bei dem Polizeiangriff auf die beiden Schulen etwa wurden schließlich auch italienische Parlamentarier verletzt. Daß bei der vermeintlichen Razzia gleich 92 Jugendliche, darunter viele Ausländer, mit der Anschuldigung der Bildung einer kriminellen Vereinigung verhaftet wurden, »ist nicht üblich«, meinte am Montag Franco Pinto, Staatsanwalt in Genua. »Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist eine komplexe Straftat, die im allgemeinen monatelanger Untersuchungen und Kontrollen bedarf, um Fakten und Personen in Verbindung zu bringen«, sagte Pinto gegenüber der Presse. Über die Razzia sei hingegen in wenigen Stunden entschieden worden.

Noch ist unklar, was dem Gros der Verhafteten im Einzelnen vorgeworfen wird und mit welchen Strafen sie rechnen müssen. Zu befürchten ist allerdings, daß ein abschreckendes Exempel für die immer stärker werdende Antiglobalisierungsbewegung statuiert wird. Der Rechtsstaat macht hierfür eine Pause.